Umgang mit Heterogenität

Forschungsarbeiten, die sich den Bedingungen und Auswirkungen von sowie dem angemessenen Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen von Schüler*innen widmen, bilden einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt am IQB. Damit greifen wir ein Themenfeld auf, dem auch die KMK in ihrer Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring (2015) zentrale bildungspolitische Bedeutung beimisst. In den vielfältigen Forschungsarbeiten werden verschiedene Aspekte von Heterogenität berücksichtigt. Ein besonderes Interesse gilt dabei (1) Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, (2) besonders leistungsstarken Schüler*innen, (3) Heranwachsenden mit Zuwanderungshintergrund oder aus sozial benachteiligten Familien sowie (4) der Analyse geschlechtsbezogener Disparitäten.

  1. Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) lernen in Deutschland häufig an Förderschulen, werden aber zunehmend auch an allgemeinen Schulen gemeinsam mit Schüler*innen ohne SPF beschult.

In unserer Forschung beschäftigen wir uns aus verschiedenen Perspektiven mit dieser Schüler*innengruppe: Zum einen setzen wir uns mit methodischen Fragestellungen auseinander, wie etwa der Frage, ob die vom IQB entwickelten Kompetenztests und eingesetzten Fragebögen für Kinder mit SPF geeignet sind. Zum anderen untersuchen wir unterschiedliche Rahmenbedingungen und Prozesse bei der Beschulung und Unterrichtsgestaltung, die mit den schulischen Kompetenzen und weiteren Merkmalen der schulischen Entwicklung dieser Schüler*innengruppe zusammenhängen. Beispielsweise beschäftigen wir uns mit dem diagnostischen Prozess bei der Feststellung eines SPF, mit den besonderen Lernbedürfnissen von Schüler*innen mit SPF und der entsprechenden Anpassung des Unterrichts. Schließlich erforschen wir die Folgen unterschiedlicher Beschulungsformen für Kinder mit und ohne SPF: So gehen wir beispielsweise der Frage nach, ob sich Kinder mit SPF an Förderschulen in ihrer schulischen und psychosozialen Entwicklung von Kindern mit SPF an allgemeinen Schulen unterscheiden.

Die Mitarbeiter*innen des Forschungsschwerpunktes zu Schüler*innen mit SPF kooperieren zu methodischen und inhaltlichen Fragestellungen im Rahmen des NELSEN-Netzwerkes eng mit weiteren Forschungseinrichtungen, die in Deutschland Large-Scale-Assessments im Bildungsbereich durchführen.

  1. Leistungsstarke Schüler*innen

Neben leistungsschwachen sind in den letzten Jahren auch leistungsstarke Schüler*innen stärker in den bildungspolitischen und wissenschaftlichen Fokus gerückt. So konstatiert etwa das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in seinem neuen Rahmenprogramm für die empirische Bildungsforschung einen Handlungsbedarf bezüglich der Förderung „leistungsstarker und leistungsfähiger“ Schüler*innen (BMBF, 2017, S. 11). Diese Kinder und Jugendlichen sollen in den kommenden Jahren intensiver untersucht, Ansatzpunkte für ihre Förderung identifiziert und Fortschritte in der Förderung überprüft werden.

Dieses gestiegene Interesse spiegelt sich auch im Forschungsprogramm des IQB wider. So beschäftigen wir uns mit Bedingungen der schulischen Entwicklung leistungsstarker Schüler*innen —wir untersuchen dabei Zusammenhänge zwischen ihrem persönlichen kognitiven und motivationalen Potenzial, dem schulischen Kontext mit Peer- und Unterrichtseffekten und ihren fachbezogenen Leistungen. Darüber hinaus widmen wir uns der Frage, welche Fördermaßnahmen dieser Gruppe von Schüler*innen inner- und außerschulisch zur Verfügung stehen.

  1. Schüler*innen aus zugewanderten und/oder sozial benachteiligten Familien

Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden zuwanderungsbezogene und soziale Disparitäten im Bildungserfolg sowie in der psychosozialen Adaption. Dabei untersuchen wir insbesondere, wodurch solche Unterschiede entstehen und wie sie sich verringern lassen.

Forschungsarbeiten in diesem Bereich gehen u.a. der Frage nach, inwieweit sich die zuwanderungsbezogene und soziale Zusammensetzung der Schülerschaft (Komposition) auf die schulische und psychosoziale Entwicklung der einzelnen Schüler*innen auswirkt. Ebenso wird untersucht, welche Rolle soziale Netzwerke innerhalb von Schulklassen für die psychologische und soziokulturelle Adaption von Kindern und Jugendlichen aus zugewanderten Familien spielen. Ein besonderes Interesse gilt zudem der schulbezogenen Integration von Heranwachsenden mit Fluchtbiografie.

In einem weiteren Forschungsschwerpunkt setzt sich das IQB mit dem Erwerb und der Förderung von Sprach- und Lesekompetenz auseinander. Dieser Forschungsschwerpunkt bezieht sich auch auf besondere Herausforderungen von Schüler*innen aus zugewanderten und/oder sozial benachteiligten Familien.

  1. Geschlechtsbezogene Disparitäten

Zahlreiche Studien belegen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen im Bildungserfolg und im Kompetenzerwerb. Während die Bildungsbiografien der Mädchen insgesamt häufig erfolgreicher verlaufen als die der Jungen, bestehen in einigen Fächern geschlechtsspezifische Unterschiede in den Kompetenzen und Fähigkeitsselbstkonzepten. So erzielen Mädchen typischerweise bessere Leistungen in den sprachlichen Fächern und verfügen in diesem Bereich auch über ein höheres Selbstkonzept.

In einer Reihe von Forschungsarbeiten am IQB werden die Ursachen dieser geschlechtsbezogenen Disparitäten untersucht und Veränderungen über die Zeit betrachtet. Dabei werden etwa Unterschiede in den Kompetenzen, im fachlichen Selbstkonzept und im Interesse in Abhängigkeit von der besuchten Schulform und vom Geschlecht der Lehrkraft untersucht und die Bedeutung von Geschlechterrollenorientierungen für den Bildungserfolg in den Blick genommen.

Ausgewählte Publikationen

  • Böhme, K., Kohrt, P., Haag, N., & Weirich, S. (2017). Entwicklung angepasster Testaufgaben für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In P. Stanat, S. Schipolowski, C. Rjosk, S. Weirich, & N. Haag (Hrsg.), IQB-Bildungstrend 2016. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich (S. 369-385). Münster: Waxmann.
  • Gentrup, S. & Rjosk, C. (2018). Pygmalion and the gender gap: do teacher expectations contribute to differences in achievement between boys and girls at the beginning of schooling? Educational Research and Evaluation, 24(3-5), 295-323.
  • Gresch, C., Kuhl, P., Grosche, M., Sälzer, C., & Stanat, P. (Hrsg.). (2020). Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulleistungserhebungen: Einblicke und Entwicklungen. Wiesbaden: Springer VS.  https://doi.org/10.1007/978-3-658-27608-9
  • Kocaj, A., Kuhl, P., Kroth, A. J., Pant, H. A. & Stanat, P. (2014). Wo lernen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besser? Ein Vergleich schulischer Kompetenzen zwischen Regel- und Förderschulen in der Primarstufe. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 66, 165–191. doi: 10.1007/s11577-014-0253-x
  • Kuhl, P., Stanat, P., Lütje-Klose, B., Gresch, C., Pant, H. A. & Prenzel, M. (2015). Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulleistungserhebungen. Wiesbaden: Springer Verlag VS.
  • Lorenz, G., Boda, Z., Salikutluk, Z. & Jansen, M. (2020). Social influence or selection? Peer effects on the development of adolescents’ educational expectations in Germany. British Journal of Sociology of Education, 41(5), 643-669.
  • Neuendorf, C., Jansen, M., & Kuhl, P. (2020) Competence development of high achievers within the highest track in German secondary school: Evidence for matthew effects or compensation? Learning and Individual Differences, 77, 101816.
  • Rjosk, C., Richter, D., Hochweber, J., Lüdtke, O., Klieme, E. & Stanat, P. (2014). Socioeconomic and language minority classroom composition and individual reading achievement: The mediating role of instructional quality. Learning and Instruction, 32, 63–72. doi: 10.1016/j.learninstruc.2014.01.007
  • Rjosk, C. (2015). Zuwanderungsbezogene Klassenzusammensetzung: Messung sowie direkte und vermittelte Effekte auf Leistung und psychosoziale Schülermerkmale. Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin.
  • Rjosk, C., Richter, D., Hochweber, J., Lüdtke, O. & Stanat, P. (2015). Classroom composition and language minority students’ motivation in language lessons. Journal of Educational Psychology, 107, 1171-1185. doi: 10.1037/edu0000035
  • Stanat, P., Schwippert, K. & Gröhlich, C. (2010). Der Einfluss des Migrantenanteils in Schulklassen auf den Kompetenzerwerb: Längsschnittliche Überprüfung eines umstrittenen Effekts. In C. P. Allemann-Ghionda, P. Stanat, K. Göbel & C. Röhner (Hrsg.), Migration, Sprache, Identität [55. Beiheft]. Zeitschrift für Pädagogik, 56, 147–164.
  • Stanat, P., Segeritz, M. & Christensen, G. (2010). Schulbezogene Motivation und Aspiration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. In W. Bos, E. Klieme & O. Köller (Hrsg.), Schulische Lerngelegenheiten und Kompetenzentwicklung. Festschrift für Jürgen Baumert (S. 31–57). Münster: Waxmann.
  • Schipolowski, S., Wittig, J., Mahler, N. & Stanat, P. (2019). Geschlechterbezogene Disparitäten. In P. Stanat, S. Schipolowski, N. Mahler, S. Weirich & S. Henschel (Hrsg.), IQB-Bildungstrend 2018. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich. (S. 237-263). Münster: Waxmann.
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Dr. Cornelia Gresch

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