Weiterentwicklung der Kompetenztests Russisch und Türkisch zur objektiven Erfassung der herkunftssprachlichen Kompetenzen bei Schüler*innen mit entsprechendem Migrationshintergrund in der NEPS Startkohorte 8 (NEPS-L1)


Leitung

Prof. Dr. Petra Stanat

Wissenschaftliche Mitarbeiter*in

Lisa Ann Tinkl

Laufzeit

01. Februar 2021 – 31. Januar 2025

Förderung

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi)


Projektbeschreibung

Bei diesem Projekt handelt es sich um ein in das Nationale Bildungspanel (NEPS) eingebundenes Teilprojekt. Thematisch ist es der NEPS-Säule „Bildungserwerb von Personen mit Migrationshintergrund“ zugeordnet. Das NEPS erhebt u.a. Längsschnittdaten zu Kompetenzentwicklungen, Bildungsprozessen und Bildungsentscheidungen und stellt diese der Scientific Community zu wissenschaftlichen Analysezwecken zur Verfügung, um mehr über Bildungserwerb, - prozesse und -verläufe über die gesamte Lebensspanne erfahren zu können. Dafür wurden zwischen 2009 und 2012 sechs Startkohorten gezogen, die verschiedene Bildungsetappen durchlaufen. Deren Panelteilnehmer*innen wurden und werden z.T. weiterhin regelmäßig befragt und getestet. Das NEPS-Konsortium plant, im Jahr 2022 eine weitere Startkohorte von Schüler*innen zu Beginn des Sekundarbereichs I zu ziehen. Im Rahmen dieser Kohorte sollen bei Schüler*innen der zwei größten Migrantengruppen, die sich in der sechsten Klassenstufe befinden, Kompetenztests in den Herkunftssprachen Russisch und Türkisch eingesetzt werden, um neben subjektiv erfassten Sprachkompetenzen auch objektiv getestete Kompetenzen der Herkunftssprache ermitteln zu können. Ziel dieses Projekts ist, den bereits in einer bestehenden NEPS-Startkohorte verwendeten Hörverstehenstest weiterzuentwickeln und um neu zu entwickelnde Testaufgaben zu erweitern. Diese Kompetenzdaten werden einen Vergleich der herkunftssprachlichen Kompetenzen der Schüler*innen beider Startkohorten ermöglichen.

Das Projekt setzt an der wissenschaftlich noch ungeklärten Frage an, welche Rolle die Herkunftssprache für den Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes und für den Bildungserfolg von Schüler*innen mit Migrationshintergrund hat (für einen Überblick siehe Kempert, Edele, Rauch, Wolf, Paetsch et al., 2016). In der Literatur finden sich drei unterschiedliche Sichtweisen, die jeweils von positiven, negativen oder keinen Effekten ausgehen (vgl. Kempert et al., 2016; Kristen et al., 2011). Während Vertreter*innen der kognitiven und kulturellen Perspektive positive Effekte der Herkunftssprache auf Deutschkompetenzen und die einer Drittsprache, wie z.B. Englisch, sowie auf meta-kognitives und meta-linguistisches Wissen als auch auf das Sozialkapital annehmen (z.B. Bankston & Zhou, 1995; Bialystok, 2009; Cummins, 2000), gehen Vertreter*innen der Time-on-Task Hypothese – basierend auf Argumenten wie Zeitmangel und Konkurrenz – von negativen Effekten auf den Erwerb der Landessprache sowie weiterer schulisch-relevanter Kompetenzen aus (z.B. Hesse & Göbel, 2009; Leseman, Scheele, Mayo & Messer, 2009). Die Position der Null-Effekte stützt sich auf die Annahme, dass für eine erfolgreiche Integration von Schüler*innen mit Migrationshintergrund vor allem Ressourcen notwendig sind, die in der Aufnahmegesellschaft unmittelbar genutzt werden können, worunter die Herkunftssprache nicht falle (z.B. Esser, 2006; Kalter, 2007). Die empirische Befundlage zu diesem Thema ist trotz der Vielzahl an vorhandenen Studien uneindeutig. Manche Untersuchungsergebnisse zeigen einen positiven Effekt von Wortschatz, Hörverstehen und Lesekompetenz der Herkunftssprache auf Wortschatz, Hörverstehen und Lesekompetenz der Landessprache (z.B. Hulstijn & Bossers, 1992; Verhoeven, 2007). Hierbei handelt es sich allerdings überwiegend um Befunde bei Kindergartenkindern oder Erwachsenen. Andere Studien deuten auf negative Effekte zum Beispiel im Wortschatz und Textverstehen bei bilingualen Personen hin (z.B. Leseman et al., 2009). Insgesamt wurden die meisten theoretischen Annahmen noch nicht ausreichend für Schüler*innen der Sekundarstufe im deutschsprachigen Kontext mittels objektiver Kompetenzmessungen untersucht, um belastbare Aussagen treffen zu können (Kempert et al., 2016).

Literatur

  • Bankston, C. L. & Zhou, M. (1995). Effects of minority-language literacy on the academic achievement of Vietnamese youth in New Orleans. Sociology of Education 68, 1-17.

  • Bialystok, E. (2009). Effects of bilingualism on cognitive and linguistic performance across the lifespan. In I. Gogolin & U. Neumann (Hrsg.), Streitfall Zweisprachigkeit - The Bilingualism Controversy (Bd. 1, S. 31-52). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Cummins, J. (2000). Language, power and pedagogy: Bilingual children in the crossfire (Books Opinion Papers No. ED446442). Clevedeon: Multilingual Matters Ltd., UTP.

  • Esser, H. (2006). Migration, Sprache und Integration. Berlin: Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration (AKI), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

  • Hesse, H.-G. & Göbel, K. (2009). Mehrsprachigkeit als Kapital: Ergebnisse der DESI Studie. In I. Gogolin & U. Neumann (Hrsg.), Streitfall Zweisprachigkeit - The Bilingualism Controversy (Bd. 1, S. 281-288). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Hulstijn, J. H. & Bossers, B. (1992). Individual differences in L2 proficiency as a function of L1 proficiency. European Journal of Cognitive Psychology, 4(4), 341-353.

  • Kalter, F. (2007). Ethnische Kapitalien und der Arbeitsmarkterfolg Jugendlicher türkischer Herkunft. Soziale Welt Sonderband, 17, 393-417.

  • Kempert, S., Edele, A., Rauch, D., Wolf, K. M., Paetsch, J., Darsow, A.et al. (2016). Die Rolle der Sprache für zuwanderungsbezogene Ungleichheiten im Bildungserfolg. In C. Diehl, C. Hunkler & C.

  • Kristen (Hrsg.), Ethnische Ungleichheiten im Bildungsverlauf: Mechanismen, Befunde, Debatten (S. 157-241). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

  • Kristen, C., Edele, A., Kalter, F., Kogan, I., Schulz, B., Stanat, P.et al. (2011). The education of migrants and their children across the life course. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(0), 121-137.

  • Leseman, P. P. M., Scheele, A. F., Mayo, A. Y. & Messer, M. H. (2009). Bilingual development in early childhood and the language used at home: Competition for scarce resources? In I. Gogolin & U. Neumann (Hrsg.), Streitfall Zweisprachigkeit - The Bilingualism Controversy (Bd. 1, S. 317-331). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Verhoeven, L. T. (2007). Early bilingualism, language transfer and phonological awareness. Applied Psycholinguistics, 28, 425-429.

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Kontakt

Louisa Groß-Hardt
National Educational Panel Study/Nationales Bildungspanel (NEPS)
(030) 2093.46553

louisa.gross-hardt@
hu-berlin.de